Legespiele oder die Kunst, zur richtigen Zeit den richtigen Ort zu finden

 

Was macht Legespiele aus?

„Lege ich da an … oder doch besser da?“ – wenn ihr euch das schon mal gefragt habt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr schonmal ein Legespiel gespielt habt. Aber was macht Legespiele eigentlich aus? Geht es wirklich einfach nur darum, Plättchen oder Spielsteine zu legen, wie die Bezeichnung suggeriert? Um die verschiedenen Spielarten dieser Kategorie etwas besser zu verstehen, schauen wir uns heute einige Beispiele genauer an.

Bei BoardGameGeek entsprechen Legespiele der Kategorie Tile Placement. Im Spielverlauf eines „klassischen“ Legespiels werden Plättchen platziert, wodurch ihr entweder Effekte auslöst oder später Siegpunkte erhaltet. Meistens müsst ihr dabei an bereits ausgespielte Plättchen anbauen und oft auch bestimmte Regeln beachten, entweder um möglichst viele Siegpunkte zu erreichen oder weil ihr nur an bestimmten Stellen anlegen dürft. BoardGameGeek führt in dieser Kategorie fast 8.000 Spiele auf und nennt als klassisches Beispiel das Spiel des Jahres 2001, Carcassonne.

Zwei weitere wichtige Aspekte bei Legespielen: Häufig kombinieren sie Zufall und Strategie. So zieht ihr zum Beispiel zufällig ein Plättchen, das ihr dann aber möglichst geschickt anlegen müsst. Viele neuere Legespiele haben zudem zusätzliche Herausforderungen wie Aufgabenkarten oder ergänzende Mechanismen. Daher haben Legespiele auch einen hohen Wiederspielwert. Gleichzeitig findet ihr in sehr vielen, vor allem „klassischen“ Legespielen, einen Solo-Modus, der es euch erlaubt, euren eigenen Highscore immer weiter zu verbessern.

Aber natürlich gilt bei Legespielen wie auch bei allen anderen Spielarten und Spielmechaniken: Ausnahmen bestätigen die Regel! Daher schauen wir uns jetzt mal einige Beispiele mit all ihren klassischen Elementen und ihren Besonderheiten an.

 

Legen oder nicht legen – Klassische Legespiele

Bevor wir uns später noch einige besondere Fälle anschauen, widmen wir uns zunächst den „klassischen“ Legespielen, zum Beispiel Nova Luna. Das Familienspiel von Uwe Rosenberg, basierend auf einer Idee von Corné vaan Moorsel, war 2020 zum Spiel des Jahres nominiert. Thematisch inspiriert ist das Spiel von verschiedenen Mondphasen. Abgesehen von der zentralen Monduhr tritt das Thema hier jedoch eher in den Hintergrund – ein Kriterium, das ihr sehr oft bei Legespielen findet. Nicht umsonst gehören die Wörter „abstrakt“ und „Legespiel“ inzwischen schon fast untrennbar zusammen.

Nova Luna Spielmaterial

Aber zurück zu Nova Luna:  Bei dem Anlegespiel für ein bis vier Spielende gibt es Plättchen in vier verschiedenen Farben, die immer gleich aufgebaut sind. Die Plättchen nehmt ihr euch aus der Auswahlbahn der Monduhr in der Tischmitte und legt sie vor euch an eure Auslage an. Oben links seht ihr einen Zahlenwert zwischen eins und sieben, der die Zeit angibt, die es euch kostet, das Plättchen auszulegen, also die Schritte, die ihr auf der Mondlaufbahn vorrücken müsst. In den anderen Ecken sind bis zu drei Aufgaben abgebildet, die automatisch erfüllt werden, wenn die angrenzenden Plättchen den dargestellten Farben entsprechen. Hier gilt es also, taktisch geschickt anzulegen, da jede Entscheidung weitreichende Konsequenzen mit sich bringen kann. Erfüllt ihr eine Aufgabe, platziert ihr eine Scheibe aus eurem Vorrat darauf. Das Spiel endet, wenn keine Plättchen mehr zur Auswahl stehen, weil alle platziert wurden. Wer jetzt die wenigsten Scheiben übrig hat, also die meisten Aufgaben erfüllt hat, gewinnt. Noch abstrakter wird es bei dem Familienspiel Framework, ebenfalls von Uwe Rosenberg. Auf den Plättchen dieses Spiels sind bis zu drei Rahmen in insgesamt fünf verschiedenen Farben abgebildet. In der Mitte sind außerdem Aufgaben zu sehen. Die Farbe der Aufgabe zeigt euch, auf welche Rahmenfarbe sie sich bezieht. Um sie zu erfüllen, müsst ihr geschickt anlegen – und den Überblick behalten, denn es zählen nicht nur die direkten Nachbarrahmen, sondern alle Plättchen mit mindestens einem Rahmen der gleichen Farbe, die waagerecht und/oder senkrecht zueinander benachbart sind. Sobald ihr eine Aufgabe erfüllt, platziert ihr einen eurer Spielsteine auf dem Plättchen.

Ein weiteres Legespiel, das die meisten von euch sicherlich kennen, denn es wurde 2017 zum Spiel des Jahres gekürt: Kingdomino. Als Herrscher*innen über euer eigenes Reich versucht ihr, dieses stetig durch lukrative Landschaften zu erweitern. In jeder Runde erhaltet ihr ein neues Plättchen und legt es bei euch an, im besten Fall so, dass es am Ende möglichst viel Punkte bringt. Punkte gibt es in zusammenhängenden Landschaften für die Anzahl der Kronen multipliziert mit der Anzahl der passenden Landschaftsfelder. Ganz klassisch baut ihr so über zwölf Runden ein Gebiet vor euch auf. Inzwischen sind in der Kingdomino-Reihe auch noch die beiden herausfordernden Titel Queendomino und Kingdomino Origins erschienen und die Kindervariante Dragomino, die 2021 zum Kinderspiel des Jahres ausgezeichnet wurde. Wenn ihr noch mehr über die gesamte Reihe wissen wollt, schaut in das Interview mit Autor Bruno Cathala.

Auch das 2023 zum Spiel des Jahres ausgezeichnete Dorfromantik – Das Brettspiel gehört definitiv ebenfalls zur Kategorie der Legespiele. In der Brettspieladaption zum gleichnamigen Videospiel des kleinen Entwicklerstudios Toukana Interactive bauen ein bis sechs Spielende kooperativ Sechseck für Sechseck eine Landschaft auf. Einfacher gesagt als getan, denn in dem Familienspiel von Michael Palm und Lukas Zach gibt es einiges zu beachten: Während die Landschaftsarten Wald, Getreide, Dorf und Wiese beliebig aneinandergelegt werden können, dürft ihr Kanten mit einem Fluss oder einem Gleis nur passend anlegen, also so, dass sie an vorhandene Flüsse oder Gleise anschließen. Gleichzeitig versucht ihr, Aufträge der Bevölkerung zu erfüllen, die sich zum Beispiel ein Getreidefeld oder ein Dorf einer bestimmten Größe wünscht. Auf einigen der Plättchen sind außerdem Fahnen abgebildet: Sie geben am Spielende Punkte, wenn ihr das zugehörige Gebiet abgeschlossen habt, es also keine offenen Kanten mehr hat. Auch für erfüllte Aufträge und das längste Gleis sowie den längsten Fluss erhaltet ihr am Spielende Punkte. So könnt ihr nicht nur euren eigenen Highscore knacken, sondern auch nach und nach zusätzliche Plättchen freispielen, die zunächst in verschlossenen Schachteln verborgen sind.

Was Dorfromantik – Das Brettspiel zu einem besonderen Legespiel macht? Sicherlich das ungewöhnlich thematische Setting, das sich nicht zuletzt durch die stimmigen Illustrationen durch das gesamte Spiel zieht. Aber auch die Kombination aus Legespiel und kooperativem Zusammenspiel ist ungewöhnlich, denn viele Legespiele haben zwar einen Solo-Modus (so auch Dorfromantik – Das Brettspiel), sind aber im Mehrpersonenspiel meist kompetitiv.

 

Legespiele mit Twist

Juicy Fruits Spielmaterial

Bisher ging es also tatsächlich vor allem um das Anlegen von Plättchen und das Erfüllen von Aufgaben. Natürlich geht aber noch mehr! Etwas außergewöhnlicher ist da zum Beispiel schon unser nächster Kandidat, Juicy Fruits. Auf eurem eigenen kleinen Inselparadies züchtet ihr in dem bei Deep Print Games erschienen Familienspiel die schmackhaftesten Früchte. Euer Ziel: Schiffe mit Obst beliefern und touristisches Gewerbe auf eurer Insel ansiedeln – und natürlich mehr Punkte sammeln als eure Mitspielenden. Dazu müsst ihr nicht nur clever planen, sondern braucht auch gutes Timing, denn in beiden Schritten eures Spielzeugs müsst ihr euch zwischen zwei Optionen entscheiden. Im ersten Schritt könnt ihr entweder ein Ernteplättchen oder ein mobiles Gewerbeplättchen in gerader Linie auf eurem Inselplan verschieben. Bei einem Ernteplättchen nehmt ihr euch pro geschobenem Feld eine Frucht der entsprechenden Sorte, bei einem Gewerbeplättchen dürft ihr dessen Sonderfunktion ausführen. Ok, bis hierhin musstet ihr noch nichts legen, aber im zweiten Schritt kann sich das ändern, denn nun könnt ihr entweder ein Schiff mit den gewünschten Früchten beliefern und Punkte erhalten oder ihr nutzt die gesammelten Früchte, um euch ein neues Gewerbe(-plättchen) auf eure Insel zu holen. Gewerbe geben euch unterschiedliche Vorteile und die meisten von ihnen sind stationär, das heißt, das Feld auf dem ihr sie platziert, bleibt bis zum Spielende „blockiert“ – ihr müsst euch also genau überlegen, welche Wege ihr euch für die Bewegung der Plätzchen freihalten möchtet und welche ihr dagegen einschränken könnt. Übrigens, wie Autor Christian Stöhr auf den Schiebemechanismus gekommen ist und wie die Entwicklung des Spiels sonst ablief, erfahrt ihr in dem Interview, das wir mit ihm geführt haben.

Wie ihr bestimmt gemerkt habt, ging es bisher bei allen Spielen um Plättchen. Tatsächlich werden Legespiele oft mit Plättchen assoziiert. Das diese aber gar nicht unbedingt notwendig sind, zeigen zum Beispiel Spiele wie Orichalkum oder Nimalia, bei denen ihr Karten auslegt, oder auch das Würfellegespiel Sagrada. Ein bis vier Kunsthandwerker*innen wetteifern darin darum, das schönste Kirchenfenster in der Sagrada Familia zu erschaffen. Die Glasstücke, die euch dazu zur Verfügung stehen, werden durch Würfel dargestellt. Diese zeigen eine Farbe und eine „Schattierung“. Die Farbe entspricht dabei einfach der Würfelfarbe, die Schattierung den Würfelaugen: Je geringer der Wert, desto heller die Schattierung. Zu Beginn jeder Runde zieht ihr zufällig eine bestimmte Anzahl an Würfeln aus dem Beutel, je nach Anzahl der Spielenden. Diese werden dann gewürfelt und in der Mitte ausgelegt. Wer am Zug ist, wählt einen der Würfel und setzt ihn auf ein freies Feld seines Kirchenfensters. Dabei müsst ihr die Farb- und Schattierungsvorgaben der Musterkarten in eurem Fenster beachten und dürft nie zwei Würfel der gleichen Zahl oder Farbe direkt nebeneinander platzieren. Nach dem Platzieren dürft ihr außerdem eine Werkzeugkarte nutzen. Das kann euch dabei helfen, die Vorgaben zu erfüllen, indem ihr zum Beispiel Würfel manipulieren oder umsetzen dürft. Nach zehn Runden endet das Familienspiel und ihr erhaltet Prestigepunkte für Öffentliche und Geheime Auftragskarten, falls ihr diese durch geschicktes Platzieren erfüllt habt. Wer so die meisten Punkte erreicht, hat das schönste Kirchenfenster gestaltet und gilt ab sofort als berühmteste*r Kunsthandwerker*in Spaniens.

 

Da müssen wir nochmal drüber reden: Diskussionswürdige Kandidaten

Wie bei wohl jeder Mechanik und jeder Kategorie von Spielen gibt es natürlich auch solche, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Eines dieser Beispiele aus unserem Sortiment ist Tiny Towns. Hier baut ihr eine Stadt aus, indem ihr verschiedene Gebäude errichtet. Dazu sammelt ihr in jeder Runde Ressourcen und platziert sie in eurer 4 x 4 Felder kleinen Stadt. Auf jedem Feld darf dabei immer nur eine Ressource liegen. Habt ihr passende Ressourcen in der auf einer der Gebäudekarten vorgegebenen Anordnung gesammelt, dürft ihr die Ressourcen wegnehmen und das entsprechende Gebäude errichten. Am Spielende geben euch die unterschiedlichen Gebäudearten Siegpunkte, wenn ihr die auf den Karten vorgegebene Bedingungen erfüllt. Soweit klingt das nach einem Legespiel, in dem ihr eben bunte Ressourcenwürfel statt Plättchen legt, oder? Von üblichen Spielen dieser Kategorie weicht Tiny Towns jedoch ab, wenn es ums Bauen geht: Baut ihr ein Gebäude, platziert ihr es auf einem der Felder, auf denen ihr zuvor die Ressourcen dafür gelagert hattet, die übrigen Ressourcen kommen zurück in den allgemeinen Vorrat und geben wieder Felder frei. Ungewöhnlich ist hier also, dass euer Spielfeld dynamisch bleibt. Das heißt aber nicht, dass ihr in dem strategischen Familienspiel von Peter McPherson nicht genau überlegen müsst, wohin ihr die Ressourcen legt, denn habt ihr euch verbaut und könnt weder Ressourcen noch Gebäude platzieren, endet das Spiel für euch sofort während die anderen noch weiterspielen bis sie ebenfalls nichts mehr legen können.

In entlegene Reiche reist ihr in der Kennerspiel-Reihe um Der Kartograph (Jordy Ardan) und Die Kartographin (John Brieger und Jordy Adan). Gleichzeitig entfernen wir uns weiter von den klassischen Legespielen. Genau genommen legt ihr hier nichts. Weder Würfel noch Plättchen noch Karten. Aber: ihr wählt in jeder Runde aus, wo ihr die von der gezogenen Karte vorgegebene Landschaft und Form einzeichnen wollt. Diese Entscheidungen lassen sich danach im Normalfall nicht mehr verändern. Ihr baut also dennoch eure Karte aus, indem ihr Formen ‚anlegt‘, aber eben nur mit dem Stift. Letztlich stellt sich hier also die Frage: Kann ein Flip & Write-Spiel auch eine Art Legespiel sein? Oder gehört zu einem Legespiel das physische Anlegen?

 

Das macht Legespiele aus! Oder …?

Kommen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage: Was macht ein Legespiel aus? Zunächst natürlich: in irgendeiner Form legt ihr etwas an. Aber viele Legespiele kombinieren diese Mechanik inzwischen mit weiteren Herausforderungen, wodurch die Spiele noch abwechslungsreicher werden. Für die meisten Legespiele braucht ihr nicht nur Glück beim zufälligen Ziehen von Plättchen, Würfeln oder Karten, sondern müsst auch strategisch denken und vor allem den Überblick behalten, um Punkte zu sammeln. Übrigens: Viele Legespiele lassen sich auch alleine spielen, falls eure Spielerunde mal keine Zeit hat. So könnt ihr versuchen, euren eigenen Highscore zu knacken. Ob Kandidaten wie Die Kartograph-Reihe zu den Legespielen zählen, lässt sich aber nicht abschließend beantworten, da es wie so oft keine klaren Grenzen zu anderen Kategorien gibt. Abgesehen davon bleibt nur noch eine Frage: Gehört ihr eher zum Typ „Ich lege das Plättchen einfach mal da hin und schaue, was passiert“ oder eher zum Typ „Ich muss noch kurz ausrechnen, wie viele Punkte ich dafür am Ende bekomme“?

 

Ihr habt Fragen, Anmerkungen oder Anregungen? Oder ihr habt Vorschläge, welches Thema wir uns in Zukunft unbedingt mal näher anschauen sollten? Wir freuen uns auf eure E-Mail an blog@pegasus.de.