Spieleentwicklung - City of Angels: Übersetzung extrem

Einige von euch haben möglicherweise bereits das epische Let´s Play zu unserem neuen Krimi-Spiel City of Angels gesehen, das wir zum Community Tag Ende Januar gestreamt haben. Oder ihr seid in unserem Shop über das Krimi-Spiel mit Noir-Charakter gestolpert, das euch als LAPD-Detectives direkt ins Los Angeles der 1940er Jahre versetzt inklusive düsteren Gestalten, verrauchten Hinterzimmern und blutigen Mordschauplätzen. Oder ihr kennt schon das englische Originalspiel und habt sehnsüchtig darauf hingefiebert, dass endlich eine deutsche Übersetzung erscheint, die euch das Krimi-Spiel mit dem innovativen Adaptiven Antwortkarten-System, das echte Zeugenbefragungen simuliert, ins heimische Spielzimmer bringt. Genau hier kommen wir ins Spiel, denn zusammen mit dem Entschluss, die deutsche Version zu realisieren, musste auch ein fähiger Übersetzer her, der viel Erfahrung mit Übersetzungen und Spielen hat. Glücklicherweise haben wir aber sehr viele sehr gute Übersetzerinnen und Übersetzer, mit denen wir immer wieder gerne zusammenarbeiten. In diesem Fall war das Daniel Danzer, den ihr vielleicht sogar als Autor für eigene Spiele wie Round the World kennt. Also Bühne frei für Daniel, der uns in einem garantiert 100% spoilerfreien Bericht erzählt, wie die Übersetzungsarbeit an City of Angels lief und was für ihn das ganz Besondere an diesem Projekt war:

City of Angels war für mich als Übersetzer in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall:

1. Habe ich nicht die Spielregeln übersetzt. Das blieb diesmal der Redaktion vorbehalten. Da gerade bei diesem Spiel sehr viele Formulierungen und Begriffe im Spielfluss geprüft werden mussten, also direkt am redaktionellen Spieltisch, hat die Redaktion diesen Teil des Spiels selbst übersetzt.

2. War meine Aufgabe, die Antworten und kurzen Szenen der Verdächtigen zu übersetzen, von denen es eine gigantische Anzahl gibt, da jeder Detective jeden Verdächtigen zur eigenen Person, den anderen Verdächtigen, und jedem Hinweis befragen kann, und es jeweils auch noch zwei, drei, oder sogar vier mögliche Antworten gibt. Lügen, falsche Spuren, oder eben die Wahrheit. Also als Textgattung eher dialoglastige Prosa statt Spielregel.

3. Spielt City of Angels im Los Angeles der späten 1940er-Jahre. Film Noir, hartgesottene Unterwelt, korrupte Cops, Hollywood-Milieu. Und hier tun sich eine lange Reihe weiterer Besonderheiten auf.

Aber gehen wir mal systematisch ran, wie ein guter Detective des LAPD: Das wichtigste war zu Beginn, und das mag jetzt trivial klingen: dass ich nicht nur den Fall, sondern jede einzelne Verhörsituationen und jede Antwort wirklich verstehe. Nicht nur den Inhalt selbst, sondern auch die Eindeutigkeit bzw. Mehrdeutigkeit dieses Hinweises. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Verdächtige lügt? Klingt das, was er sagt, sehr an den Haaren herbeigezogen? Oder klingt er ‚ehrlich‘? Ob bei den falschen Spuren oder den wirklich wichtigen Aussagen – für den Spielspaß ist diese Ebene zentral.

Spoilerfreier Arbeitsplatz

Dummerweise, und hier liegt ein tatsächlich unlösbares Kernproblem, reden viele Personen in verschiedenen Slangs, was es schwierig machte, genau abzuschätzen, wie das, was sie so reden, gemeint ist. Ironisch? Zynisch? Trocken humorig? Oder ätzend? Außerdem gibt es keine entsprechende Gangster-Sprache für das Deutschland der 1940er-Jahre. Wie übersetzt man ‚Mobster‘? Rasch gerät man sprachlich ins Berlin der 30er-Jahre, was aber andere Konnotationen und Assoziationen auslöst. Wenn man sich wiederum Humphrey Bogart-Filme anschaut, merkt man, wie altbacken der Dialog dort oft übersetzt wurde – nur das Schauspiel, die Bilder, die Musik, der raue Ton machen das glaubwürdig. Als reiner Text – oh je. Und: Viele umgangssprachliche Wörter, die sich im Deutschen anbieten, sind zeitlich nicht so leicht einzuordnen. Kann in der damaligen Zeit jemand ‚nerven‘? Hier hilft das ‚Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache‘ mit über 120 Millionen Einträgen ab 1900 und einem Spezialkorpus ‚gesprochene Sprache‘. Ergebnis: Man ‚nervt‘ erst seit ca. 1980. Also eher nicht in der City of Angels.

Aber: Ist das überhaupt wichtig? Das muss doch nicht ‚wissenschaftlich korrekt‘ sein, sondern das Spiel muss Spaß machen! Wohl wahr, und nicht jedes einzelne Wort ist von totaler Wichtigkeit. Insgesamt aber sollte die Sprache eben doch in die Welt des Spiels hineinziehen und das tut sie am besten, wenn sie stimmig ist. Trotzdem kann man bei einer solchen Mammut-Übertragungsarbeit nicht immer alles perfekt richtig machen. Sicher ist mir hier und dort ein Berliner Jargon durchgerutscht, den ich als solchen nicht erkannt habe, weil er mittlerweile einfach zu geläufig ist. Oder das eine oder andere kommt etwas zu ‚modern‘ um die Ecke. Sei’s drum. Eine interessante Orientierungshilfe war hier Frank Heiberts neue Übersetzung von Chandlers Marlowe-Roman ‚The Big Sleep‘. Er geht spielerisch, stimmig und ab und zu auch bewusst ‚nicht korrekt‘ mit dieser Problematik um. Und gilt als einer der besten Übersetzer Deutschlands. Nicht, dass ich mich auch nur annähernd mit ihm vergleichen würde – aber sein Ansatz ist einfach einleuchtend. Für eine besonders atmosphärische Stimmung am Spieltisch sorgen übrigens auch die von Oliver Rohrbeck (ihr kennt ihn vielleicht besser als Justus Jonas aus Die drei ???) eingesprochenen Einsatzbesprechungen und Epiloge für jeden Fall. Ihr findet sie unter www.pegasus.de/cityofangels.

Eine wichtige Abstimmung mit der Redaktion war auch, wie man gesprochene Sprache abbildet. ‚Wenn ich n Wort knapper sprech, als geschrieben richtig wär, wie schreib ich das dann?‘ Mit Apostroph? Ohne Apostroph? Hier galt eher: Lesbarkeit geht vor Duden-Penibilität. Und damit es gut lesbar wird, lese ich (schon aus alter Drehbuchautoren-Angewohnheit) alle Texte laut und ‚spiele‘ die Rollen. Spüre nach, wie jede einzelne Figur klingt, welche Wörter sie benutzt, welche Sprachebene für sie funktioniert. Besonders spannend ist es z. B. wenn eine Spanierin auftritt, hochgebildet, aber eben doch im Original mit ganz leichten Verschiebungen im Satzbau, die erkennen lassen: Keine Muttersprachlerin.

Ein weiterer Fallstrick war die Frage, welche englischen Begriffe bleiben schlicht englisch stehen? Bei Eigennamen noch selbstverständlich, aber bei Dienstgraden der Polizei? Oder öffentlichen Gebäuden? Landschaften? Institutionen? Jeder Fall ein Einzelfall. Und wie übersetzt man ‘you’? Klar, mit ‚du‘. Oder doch ‚Sie‘? Nicht einfach, wenn stinkreiche Fatzkes einfache Detectives im knittrigen Trenchcoat runterputzen. Endgültig knifflig wurde es aber, wenn ein Gangster zuerst beinahe freundlich antwortet, um dann aber ein ‘You pig!’ hinzuzufügen. Wechselt man von einem Satz zum nächsten vom ‚Sie‘ zum ‚Du‘, klingt das eher seltsam. ‚Sie Schwein‘ hört sich aber auch nicht nach Kleinganove an – das sagt dann eher die empörte Schauspielerin, wenn sie gefilzt wird. Eine Formulierung wie ‚Scheiß Cop!‘ kommt ohne Personalpronom aus. Aber heißt es nicht eher ‚Bulle‘...?

Schimpfwörter sind ebenso wie Redewendungen für alles unterhalb der Gürtellinie mit Vorsicht zu behandeln. Natürlich ist die Zielgruppe des Spiels eher erwachsen, trotzdem sind derbe Ausdrücke eben variantenreich und klingen für jedes Ohr anders. Ich habe zwar hier und da nicht ganz jugendfreie Wörter verwendet – allerdings nur, wenn das Original ebenso derb war (und das in den prüden USA!).

Apropos Ausdrücke. Zum Glück gibt es nicht nur das Urban dictionary, sondern auch Ray. Ray ist ein befreundeter Spieleautoren-Kollege aus den USA, der mir per Facebook-Chat aushalf. Der folgende schöne Satz taucht zum Beispiel auf, als ein Detective in einer Bar nach Hinweisen sucht: ‘The bar is jumping, and before you know it, you’re blitzed and hitting on the help.’ Alles klar? Genau: Der Laden brummt, du zischst dir einen und baggerst die Frau hinterm Tresen an. ‘Help’ ist hier nichts anderes als die Aushilfe, Kellnerin.

Und weil es im L.A. der 1940er so viele spezielle Ausdrücke gab (vor allem im Unterwelt-Milieu) hat die Originalausgabe sogar ein Wörterbuch ‘Slang - English’ dabei. Darauf haben wir verzichtet – es erhöht weder den Spielspaß, noch ergibt es von der Story her Sinn, dass man als Detective die aktuelle Sprache nicht verstehen soll. Stattdessen haben wir eine ausführlichere Liste aller 100 auf dem Stadt-Spielplan aufgeführten Orte hinzugefügt, mit jeweils einer kurzen Beschreibung. Was einiges an Recherche bedurfte, weil im Original viele dieser nummerierten Punkte keinen Namen haben. Zum Glück gibt es online nicht nur alte Stadtpläne von L.A., sondern auch historische Seiten, Fotos, etc. Gab es wirklich eine Löwenfarm? Was macht das Bradbury Building so besonders? Wo lagen zu der Zeit die verschiedenen Filmstudios? Wie sah Chinatown aus? Wie imposant war das Hotel Chateau Marmont? Wie war überhaupt die Bebauung zwischen Ölfeldern und Palmen?

 

Apropos Recherche (und Fehler): Auch in der Originalausgabe gibt es, wie in jedem Spiel, einige Fehlerchen. Und da braucht es dann eben kreative Lösungen, denn das kann ich nicht einfach so übernehmen, wissend, dass es falsch ist (da werde ich dann selbst oberpenibel). So taucht in einem der Fälle die (reale) Loyola High School auf, mit einer Direktorin und einer jungen Lehrerin. Allerdings war Ignatius von Loyola einer der Gründer des Jesuiten-Ordens. Und eine solche jesuitisch geprägte High School soll weibliche Lehrkräfte gehabt haben? Was macht der eifrige Übersetzer? Er schreibt eine Mail an die Schulleitung und fragt nach. Antwort des jetzigen Direktors Frank Kozakowski: Bis heute gibt es ausschließlich männliche Direktoren, bis 1998 ausnahmslos Jesuiten-Pater. Vereinzelt Lehrerinnen, die erste in den 1970ern. In einem solchen Fall gilt es, kreativ zu werden. Das Geschlecht zu ändern war schwierig, da beide Charaktere auch als wunderbare Vincent Dutrait-Portraits vorkamen und die Lehrerin mit einem Arbeiter bei Goodyear verheiratet war. Glücklicherweise fand ich eine elegantere Lösung: Die Orte auf dem Stadtplan sind nicht punktgenau, sondern umfassen ein paar Blocks – und siehe da: direkt bei der Loyola High gibt es die Berendo Middle School. Auch damals schon, und mit Personal beider Geschlechter. Wer von euch also feststellt, dass der ein oder andere Ort, oder eine Waffe, oder irgendein anderes Detail in der deutschen Version anders heißt, dann wisst ihr jetzt, woher diese Abweichungen kommen.

So, als geneigte*r Blog-Leser*in meinst du, dass das der Probleme genug wären? Weit gefehlt. Mindestens zwei besonders üble Brocken gibt es noch zu erwähnen: Den Platz und die Rätsel.

Der Platz: Alle schönen Antworten, Situationen und coole Sprüche und was auch immer man übersetzt, haben die dumme Angewohnheit, im deutschen Schriftbild deutlich länger zu sein, als im englischen. Erst recht bei Slang, 4-Letter-words und sonstigen Umgangssprachlichkeiten. Bei Romanen unproblematisch, sieht das beim City of Angels-Heft des Stichels mit dutzenden Einträgen in engen Spalten und knappen Zeilen schon anders aus. Und die Texte müssen auch in die vorgesehenen Ecken der quadratischen Karten passen. Da heißt es: Penibel (schon wieder!) drauf achten, dass der Text passt, aber inhaltlich derselbe ist. Und der Tonfall identisch. Und die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Aussage. Und alles.

Die Rätsel: Ohne jeden Spoiler – soviel kann gesagt werden: Es gibt Fälle, in denen der Täter (oder die Täterin?) Hinweise platziert, um ein perfides Spiel mit der Polizei zu spielen. Wortspiele, Bilderrätsel, also genau die Art, die unter anderem eines ist: Unübersetzbar. Und auch hier gilt: Die Hinweise müssen den gleichen Schwierigkeitsgrad haben wie das Original, und so weiter und sofort. Aber – es wurden Wege gefunden. Irgendwann. Irgendwie.

Dreizehn Fälle habe ich nun übersetzt, aus den diversen sprachlichen Codes des amerikanischen Englisch der 1940er-Jahre in ein hoffentlich lesbares, gut spielbares Deutsch, nicht antiquiert, nicht neudeutsch; habe Gangster, Hollywood-Diven, Mafiabosse, Psychiater, Cops, Lehrerinnen, Lebemänner, Vamps, arme Teufel und viele andere sprechen lassen. Wie jede Übersetzung ist auch diese ein Kompromiss. Allerdings ist die Originalversion meines Erachtens wirklich nur von Menschen spielbar, die in der Sprache wirklich sehr zuhause sind. So wie Ray. Und wer ist das in Deutschland schon.

Und nun weiter zur nächsten normalen Spielregel – die sehr viel technischer, eindeutiger, präziser, oft aber auch mit weniger Lust an der Sprache übersetzt werden muss als City of Angels.

Daniel Danzer

www.gametranslator.de

 

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