Designer Diary – Spaceship Unity oder wie aus Indiana Jones ein Raumschiff-Rekrut wurde

Inhalt

 

Keine Siegpunkte!

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis … Na ja, nicht ganz. Aber vor ziemlich langer Zeit, 2015, um genau zu sein, haben wir uns auf die lange Reise begeben, die schließlich in der Veröffentlichung von Spaceship Unity gipfelte. Wir, das sind in diesem Fall Jens Merkl und ich, Ulrich Blum. Jens und ich wollten gemeinsam ein Spieleprojekt starten. Wir hatten uns ein paar Jahre zuvor kennengelernt und schienen ähnliche Ideen zu Spielen zu haben. Bei unserem ersten Treffen hatten wir beide einige erste Ideen im Gepäck, die wir uns gegenseitig vorgestellt haben, um zu sehen, was davon uns beide begeistern könnte. Wir hatten beide ein paar interessant Ideen parat, aber so richtig gezündet hat keine von ihnen. Also haben wir angefangen, über Spiele im Allgemeinen zu sprechen und darüber, was unserer Meinung nach auf dem Markt fehlt. Unter anderem ging es auch um Themen, die wir spannend fanden und die noch nicht ausgelutscht sind. Bei dieser Diskussion haben wir auch festgestellt, dass ein neues und aufregendes Thema oft doch nur Verkleidung für mehr oder weniger bekannte Mechanismen ist. Nicht, dass das grundsätzlich etwas Schlechtes wäre, aber wir wollten etwas anderes als ein Spiel, bei dem doch eigentlich nur wieder Siegpunkte gesammelt werden. Wie wäre es also mit einem Spiel, bei dem es gar keine Siegpunkte gibt? Hmm, nun, das wäre eine spannende Herausforderung!

 

Der erste Versuch

Temple Cards
Tempelkarten

In den folgenden Wochen haben wir Ideen gesammelt, welche Erfahrungen wir Spielenden bieten wollten. Erfahrungen, die zwar herausfordernd wären, aber über die Optimierung von Siegpunkten hinausgingen. Wir landeten schließlich bei einem Art Indiana Jones/MacGyver Abenteuer, in dem es eine Reihe von tödlichen Gefahren gab, die man mit Witz und Einfallsreichtum überwinden musste. Das Spiel entstand dann ziemlich schnell. Die Grundidee war, dass man mit einer Situation umgehen musste, die einem nur als Bild gezeigt wurde. Um sie zu überwinden, hatten die Spielenden alle möglichen Objekte, ebenfalls auf Bildern. Es gab dann noch weitere Details, aber die spielen für dieses Designer Diary keine Rolle. Was aber zu erwähnen ist: Das Spiel wurde in verschiedenen Räumen einer Wohnung gespielt, um ein Gefühl für die unterschiedlichen Bereiche des Tempels zu vermitteln, die man gerade erkundete.

Wir waren ziemlich zufrieden mit dem Spiel, also haben wir es bei einem Spieleevent zwei Redakteuren gezeigt, die wir kannten. Und, naja, lasst uns einfach sagen, dass sie nicht ganz so begeistert waren wie wir. In ihrem Feedback haben sie das Ding in der Luft zerrissen. Wir brauchen nicht ins Detail zu gehen, aber der Großteil ihres Feedbacks war absolut gerechtfertigt. Und dann fiel irgendwann der entscheidende Satz: „Das Einzige, was ich hieran interessant finde ist, dass man nicht am Tisch sitzt, sondern den ganzen Raum nutzt.“

Als wir nach Hause fuhren war uns klar, dass dieses Spiel nirgendwohin führen würde. Also haben wir es verworfen. Keine schöne Sache, wenn man mehrere Wochen Arbeit in etwas steckt, aber leider ist es trotzdem das, was man eben manchmal tun muss. Stattdessen haben wir nochmal von vorne angefangen und uns selbst gefragt: „Also, den gesamten Raum nutzen und sich darin bewegen. Was können wir daraus machen?“

 

Die Wohnung wird zum Raumschiff

Jede Menge wie sich herausstellt! Nachdem wir erkannt hatten, dass der gesamte Wohnraum potentiell für unser Spiel genutzt werden könnte, wurde uns auch klar, dass wir eigentlich alle Dinge einbinden könnten, die eine „normale“ Wohnung eben so enthält: Ein Stuhl, ein Tisch, Besteck, Bücher, Kleidung etc. Könnten wir das alles vielleicht nutzen, um Spielende Situationen lösen zu lassen ähnlich wie im ersten Spiel? Und in welcher Situation sollen sich die Spielenden befinden? Könnten wir eine Wohnung in etwas spannenderes verwandeln? Das war der Moment, in dem uns die entscheidende Erkenntnis getroffen hat: Für jüngere Kinder wird fast alles zu Spielzeug. Für sie ist es nicht ein Schuh, der auf Papierschnipseln herumtritt, sondern Godzilla, der aus Hong Kong fliehende Menschen zerquetscht. Wenn wir diese Art spielerische Neugier adaptieren könnten, dann könnten wir etwas wirklich Besonderes erschaffen!

Cards from the very first prototype of Spaceship Unity
Karten aus dem ersten Prototyp von Spaceship Unity

Wir landeten schließlich bei einem Raumschiff als Schauplatz – die perfekte Umgebung, in der es alle möglichen „Maschinen“ gibt, die bedient werden müssen. Diese Maschinen könnten von alltäglichen Gegenständen einer Wohnung verkörpert werden. Ein Raumschiff ist auch eine tolle Kulisse für ein Team, das zusammenarbeiten muss. Und, ganz wichtig, es ist aufregend! Ok, das war also geklärt. Aber was würden wir mechanisch auf diesem Raumschiff tun? Wie würden wir Spielende dazu bekommen, Socken als schießende Laser zu benutzen?

 

Vom Großen ins Kleine

Wir haben mit fünf bis sechs Systemen angefangen mit jeweils eigenen, kleinen Minispielen, die verschiedene Alltagsgegenstände involvierten. Wir haben schnell festgestellt, dass es hart werden würde, sich an alle verschiedenen Minispiele zu erinnern. Also haben eine Referenzkarte mit allen Spielen neben dem Objekt platziert, das dafür genutzt wurde. Das haben wir mit einem kleinen Abenteuer getestet stellvertretend für eine richtige Geschichte. Es enthielt ein paar Karten, die die Geschichte erzählt haben und was man mit den Systemen des Raumschiffs macht. Die Idee war, erstmal die Systeme zu testen und sich später um die Geschichte zu kümmern.

Das funktionierte ganz gut, aber das Offensichtliche starrte und beim Spielen direkt an: Warum nicht statt der Referenzkarten direkt die vollständigen Regeln für die Minispiele auf die Karten schreiben und das Lesen ins Spielen integrieren? Der negative Teil daran: Die Minispiele könnten nicht allzu komplex sein. Aber positiv betrachtet könnten wir so viele Systeme haben wie wir wollten, denn die Spielenden müssten sie nicht im Vorfeld lernen. Das war ein Kompromiss, den wir gerne bereit waren, einzugehen.

Jetzt wussten wir also, wie wir mit den Systemen unseres Raumschiffs umgehen würden. Natürlich mussten wir noch eine ganze Menge Minispiele entwickeln, aber vorerst konnten wir mit einigen davon weiterarbeiten und erstmal herausfinden, wann und warum sie zum Einsatz kommen würden. Es war offensichtlich, dass es eine Art Geschichte geben müsste, die Herausforderungen enthalten sollte, für deren Überwindung die Spielenden die Raumschiffsysteme nutzen müssten. Wir haben verschiedene Optionen ausprobiert: Den Spielenden eine Situation zu präsentieren, in der sie selbst herausfinden müssen, was zu tun ist, war zwar interessant, aber am Ende eher ein Rätselspiel als eine wilde Weltraumschlacht. Nach mehreren Durchläufen landeten wir immer wieder bei der allerersten Lösung: Die wenigen Karten, die wir als Ersatz für die Geschichte genommen hatten, um die Systeme zu testen. Sie sagten einem nur, was man tun sollte, zusammen mit ein paar wenigen Sätzen, die die Geschichte fortführen. Einfach nur gesagt zu bekommen, was zu tun ist, klang theoretisch nicht sehr spannend, aber die Spielenden mussten parallel schon so viel herausfinden (Wo ist das System? Wie benutze ich es?), dass das tatsächlich die beste Lösung war.

 

Wie viel Action ist zu viel Action

Early Draft of an Action Chapter in Spaceship Unity
Früher Entwurf eines Actionkapitels für Spaceship Unity

Von Anfang an gab es ein Zeitdruck-Element im Spiel. Zuerst hatten wir ein Zeitlimit für alles, also in etwa so: „Ihr habt zehn Minuten um euch durch diesen Stapel an Karten zu spielen und alles darauf zu erledigen.“ Das war zwar die richtige Richtung, aber wir wollten es mit kleineren Einheiten versuchen. Und so wurde die Lebenserhaltungs-Leiste geboren, eine Reihe von Feldern, auf die man eine Sanduhr stellt. Diese muss permanent laufen. Kurz bevor sie ausläuft, muss sie also immer umgedreht und auf das nächste Feld gestellt werden. Wenn die Gruppe das letzte Feld erreicht, hat sie verloren, genau wie wenn der Sand ausgeht, weil man das Umdrehen vergessen hat. Dieses Element hat von Anfang an sehr gut funktioniert und hat es fast unverändert bis ins finale Spiel geschafft.

Jetzt da die Leiste existierte, könnten wir Symbole auf den Feldern der Lebenserhaltungs-Leiste platzieren, die spezielle Dinge auslösen, wenn der Timer das zugehörige Feld erreicht. Wie wäre es mit Störungen? Das hört sich doch spaßig an! Es gibt doch nichts schöneres als eine Störung des Lasers mitten in einer Weltraumschlacht, oder? Die Störungen brachten einen Riesenspaß. Sie waren eine gute Abwechslung zu den Karten, die vorgaben, was zu tun war. Spielende können Störungen immer ohne Ansage von einer Karte entfernen, schließlich will man ja nicht, dass ein System in dem Moment, in dem man es benutzen will, nicht funktioniert.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Gefühl, dass wir etwas ziemlich Gutes geschafft hatten. Und ein paar Tests mit anderen Personen außer uns haben uns das bestätigt. Aber es wurde auch sehr deutlich, dass niemand eine Stunde lang unter Zeitdruck stehen wollte. 15 Minuten waren das Maximum. Wir hatten also die Wahl, entweder ein 15-minütiges Spiel zu machen oder uns eine Lösung für das Problem einfallen zu lassen. Ein sehr kurzes Spiel zu machen, das war nicht das, was uns vorschwebte. Nein, wir wollten eine epische Weltraumoper und das war nicht in 15 Minuten zu schaffen. Wir brauchten also einen anderen Mechanismus, um die Hektik zu unterbrechen und den Spielenden einen Moment zum Verschnaufen zu geben. Genau wie auch ein guter Science-Fiction-Film Actionsequenzen und ruhige Momente hat. Aber würde das nicht bedeuten, dass wir ein völlig anderes Spiel entwickeln müssten? Oder gab es eine Möglichkeit, einige der Elemente aus dem, was wir bisher geschaffen hatten, ohne Zeitdruck zu nutzen?

 

Die richtige Mischung macht's

Test Round of an early Version of Spaceship Unity
Testspiel einer frühen Version von Spaceship Unity

Das war etwas schwieriger als die Erstellung der Actionsequenzen, die wir bereits hatten. Das Problem war, dass sich die Spannung bislang komplett um die Zeit drehte. Wenn der Zeitdruck aus dem Spiel genommen würde, wäre es banal. Es wäre eine bloße Aneinanderreihung von Aufgaben, die ohne großes Zutun der Spielenden ablaufen würden. Das Spielkonzept stand und fiel damit, schnell zu sein. Nach einer Weile haben wir aber auch diese Nuss geknackt: Was wir brauchten, war eine weitere Serie von Minispielen für die Systeme. Die, die wir schon hatten, konzentrierten sich vor allem darauf, sich wie etwas anzufühlen, das das System in der Geschichte tun würde. Zum Beispiel wird der Schildgenerator aktiviert, indem man die Jalousien herunterlässt, Laser werden abgefeuert, indem man Socken herumwirft und "pew pew pew" schreit usw. Was wir für die zeitlich unbegrenzten Sequenzen brauchten, waren Minispiele, die für sich genommen eine Herausforderung darstellten mit Aufgaben, die schief gehen könnten. Zum Beispiel kann man den Laser neu kalibrieren, indem man eine Socke in die Luft wirft und sie hinter dem Rücken auffängt. Jedes Scheitern bei einem dieser Minispiele würde die Sanduhr auf der Lebenserhaltungs-Leiste um ein Feld vorwärtsbewegen, anstatt dass tatsächlich Zeit vergeht. Wir könnten den Hauptmechanismus rund um diese Leiste als verbindendes Element zwischen den beiden Spielmodi beibehalten. Und die Karten zur Geschichte würden uns wieder genau sagen, was zu tun ist, aber jede dieser Aufgaben wäre eben eine Herausforderung.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Hauptelemente des Spiels fertig. Und die Tests waren sehr vielversprechend. Wenn es sich um ein „normales“ Spiel gehandelt hätte, dann hätten wir uns an diesem Punkt nach einem Verlag umsehen können und auf dem restlichen Weg noch Unebenheiten ausbügeln können. Aber es war kein „normales“ Spiel. Wir wussten jetzt zwar, wie wir die Geschichte erzählen mussten, aber welche Art von Geschichte sollte es sein, wie sollte sie aufgebaut sein? 

Ulrich Blum

 

Was, hier ist Schluss? Natürlich nicht! Die Reise geht jetzt erst so richtig los. Im zweiten Teil des Designer Diarys zu Spaceship Unity erzählt euch Ulrich mehr über die Spielentwicklung und die Entstehung der epischen Sci-Fi-Story von Spaceship Unity – oder wie eine epische Weltraumoper entsteht.

 

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